Omega Ωω

Die Umgehung des Sprengelprinzips ein (un-)demokratischer Weg?

Gute Menschen brauchen keine Gesetze, um gezeigt zu bekommen, was sie nicht dürfen, währendböse Menschen einen Weg finden, die Gesetze zu umgehen.                                – Platon –

 

Hatte der griechische Philosoph der Antike damit etwa Recht?

Vielleicht bezogen auf die Umgehung des Sprengelprinzips, einem deutschen verfassungsgemäßen Gesetzes! Dieses schreibt vor, dass Grundschulkinder die zu ihrem Wohnsitz nächstgelegene Schule besuchen (sollen/müssen). Und genau dieses Prinzip wird mehr und mehr von Eltern mit kleineren Tricks umgangen, um ihren Nachwuchs doch auf eine andere, selbst ausgewählte, für besser befundene Grundschule, wo deutsche Kinder keine Minderheit darstellen, zu schicken.1

Teile der Forschung, der empirischen Bildungsforschung2, gibt diesen Eltern allerhand Grund dafür. Diese sagt, es gäbe Klassen, in denen Kinder nicht ausreichend rechnen, schreiben und lesen lernten. Grund dafür sei ein hoher Anteil an ausländischen Kindern, welche das Niveau der ganzen Klasse nach unten drückten. Die soziale Herkunft, nicht nur die Muttersprache, sei Ursache, da diese viel häufiger bildungsfernen Schichten entstammten als deutsche.

Diesem Ergebnis tritt andere Forschung3 entgegen und widerspricht: Es sei nicht leicht auszumachen, ob es sich tatsächlich um „deutsche“ Kinder handele, die bildungsnah oder – fern seien, denn das Kriterium der Staatsbürgerschaft allein sei nicht ausreichend dafür.4 Vielmehr sei für die Untersuchung ungleicher Bildungsmuster eine besondere Betrachtung einzelner Herkunftsgruppen, die Berücksichtigung des Generationenstatus und die Beachtung der Altersstruktur erforderlich.5 Bisher liesse das Kriterium der Staatsbürgerschaft Zuwanderer mit deutscher Staatsbürgerschaft, Spätaussiedler, eingebürgerte Migranten und ihre Nachkommen unberücksichtigt.6 Diese stellten jedoch einen nennenswerten Teil der Bevölkerung dar, der so in die wissenschaftliche Betrachtung und Untersuchung nicht einbezogen würde.7

Diese sich widersprechenden Forschungsergebnisse lassen mindestens eine wichtige Erkenntnis zu: Wir können nicht davon ausgehen, dass nur sog. „deutsche“ Eltern, das Sprengelprinzip umgehen. So handelt es sich vielleicht weder bei den Eltern noch bei den vermeintlich nicht deutschen Schülern wirklich um Schüler mit unzureichender Verkehrssprache. Gemäß aktueller Forschung kommt es somit zu Fehleinschätzungen,8 gerade in jüngeren Altersgruppen bei einer Operationalisierung basierend auf der Staatsbürgerschaft, geht diese von einer Überschätzung von Bildungsnachteilen bzw. ggf. zu einer Unterschätzung von Bildungsvorteilen im Vergleich zur deutschen Referenzgruppe aus.9

Die Frage ist nun die, wieso wird die Umgehung des Sprengelprinzips nicht in öffentlichen Debatten aufgegriffen bzw. zur gesellschaftlichen Diskussion gestellt?Wieso wird die leise Umgehung des Sprengelprinzips lautlos akzeptiert, gerade wenn es ohnehin nicht mehr zur Anwendung und zum Tragen kommt. Wieso nicht demokratisch gemeinsam einen neuen Weg finden?

Im Ruhrgebiet verfallen ganze Stadtgebiete, z.B. in Essen – Frohnhausen, immer schneller. Die ältere Bevölkerungsgeneration bleibt und die jüngere noch vorhandene, besteht aus Sozialfällen ohne eine Chance auf produktive Eigenständigkeit und Verbesserung der eigenen Situation und der von anderen.

Zumindest für das Ruhrgebiet und das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat der Gesetzgeber eine Entscheidung mit der Schulgesetzreform von 2006 getroffen, welche die Sprengelpflicht aufhebt.

Der Gesetzgeber scheint damit der Bevölkerung einen Entscheidungsspielraum ermöglichen zu wollen, um sich so ggf. aus verfallenen sozialen Stadtteilstrukturen befreien und emanzipieren zu können.

Sicherlich sind es die bildungsnahen Eltern bzw. die es gerne werden möchten, die ihre Kinder auf eine selbst ausgesuchte Schule schicken möchte. Sie möchten ihren Kindern eine Chance auf eine Lerninhalt reiche Schulbildung ermöglichen mit der Perspektive auf ein mögliches Abitur, also den anschließenden Besuch eines Gymnasiums an die Grundschulzeit. Es zeigt auch einen Willen sich aus einer „Bildungsohnmacht“ befreien zu wollen. Denn wenn die nächstgelegene Stadtteilschule nicht sichern kann, dass die meisten ihrer Schüler mit elementaren Fähigkeiten in Mathematik, Deutsch etc. die Grundschule verlassen, hemmt solch eine Schule die Lernentwicklung von jedem seiner Schüler.

Die leise Umgehung des Sprengelprinzips in anderen Bundesländern und dessen Nichtdebattisierung in der politischen Öffentlichkeit verdeutlicht das Misstrauen sowohl der Eltern in das Bildungssystem als Ganzes als auch der Lehrer, Schulräte, Politikern u.v.m. in unsere demokratische Gesellschaft.

Die Umgehung des Sprengelprinzips war bis dato nur die Spitze des Eisberges. In erster Linie war und ist sie vor allem ein politisches Symptom. Die Gesellschaft befindet sich längst in starken Desintegrationsprozessen, welchen sich die Politik nicht bzw. nur mäßig widmet.

Die Zukunft wird zeigen, ob wir in der Lage sind oder sein werden, auf einem demokratischen Konsens beruhend, für alle Bürger gleichermaßen (mit oder ohne Migrationshintergrund, Sozialfall oder nicht, in und außerhalb NRWs) politisch individuell neue Wege erschliessen werden. Zu hoffen ist, dass anarchische Strömungen diese nicht verschliessen werden.

Literaturverzeichnis:

  1. http://www.zeit.de/2002/05/200205_b-grundschule.xml, S.1-4.
  2. Cornelia Gresch/Cornelia Kristen, Staatsbügerschaft oder Migrationshintergrund?

    Zeitschrift für Soziologie, Jg. 40, Heft 3, Juni 2011, S. 208–227,

    Lucius & Lucius Verlag Stuttgart,

2 Ebd., S. 2.

3 Cornelia Gresch/Cornelia Kristen, Staatsbügerschaft oder Migrationshintergrund?, S. 208-227, S.209.

4 Ebd. ,S. 209.

5 Ebd., S. 209.

6 Ebd., S. 209.

7 Ebd., S. 209.

8 Ebd., S. 209.

9 Ebd., S. 212.